Niedersächsische Rechenspiele lähmen Jamaika

Jamaika im Schnellverfahren? Das ist unvorstellbar. Die Wahlen in Niedersachsen und Machtkämpfe in Bayern bremsen schon jetzt Gespräche zwischen CDU, FDP und Grünen.

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Zugegeben, das ist eine Phrase. Aber selten war sie so passend. Denn bereits bevor die Verhandlungen über eine mögliche Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen begonnen haben, blicken gerade die Unionspolitiker auf die nächste Abstimmung. Die Niedersachsen wählen in eineinhalb Monaten neu. Im Mittelpunkt stand im Autoland bisher vor allem eines: der Umgang mit dem Diesel-Skandal bei VW. Es ging um die besondere Rolle des Landes beim Weltkonzern, es ging um die Verantwortung derzeitiger und früherer Aufsichtsräte. In einem Land, in dem der Ministerpräsident immer im VW-Kontrollgremium sitzt, ist das eigentlich das Wahlkampfthema schlechthin. In einem Land, in dem Hunderttausende Arbeitsplätze von der Automobilindustrie abhängig sind, spielt der Skandal um die Betrugsoftware natürlich weiter eine große Rolle.

Seit Sonntag ist das Abschneiden gerade der großen Parteien in Hannover aber noch stärker mit der Bundespolitik verbunden. Gibt es einen weiteren Dämpfer für Angela Merkel? Verpasst die Union dort den von ihr erhofften Machtwechsel, nimmt der Druck auf die Kanzlerin zu. Derzeit traut sich niemand in der CDU, bereits auf FDP und vor allem Grüne zuzugehen. Zu groß ist die Angst, die konservativen Wähler im Flächenland Niedersachsen zu verschrecken. Zu groß die Sorge vor einem weiteren Absturz.

Und auch in der SPD sorgt die Wahl in Niedersachsen für etwas Zurückhaltung. Für Martin Schulz wird dies die letzte Chance sein, sich zumindest als Parteivorsitzender länger zu halten. Ministerpräsident Stephan Weil fordert Ruhe ein. Für das Werben um die letzten Stimmen - und für mögliche Koalitionsverhandlungen in Hannover. Denn derzeit sieht es so aus, als ob dort weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün eine Mehrheit erreichen können. Spannend ist manches Rechenspiel: FDP und Grüne könnten möglicherweise sowohl der CDU als auch der SPD zum Regieren verhelfen, je nachdem, für wen sie sich gemeinsam als Partner entscheiden. Allerdings: Wer Liberale und Grüne in Niedersachsen kennt, der weiß, dass eine Zusammenarbeit dort nur schwer vorstellbar ist. Was Landwirtschaft oder Verkehr angeht, gibt es in beiden Parteien eine geradezu leidenschaftliche Abneigung gegen die andere Sichtweise.

Und noch eine Wahl lähmt Verhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen - die in einem Jahr in Bayern. Horst Seehofer muss nach dem Absturz der CSU bei der Bundestagswahl das fast Unmögliche schaffen: Konservative Wähler zurückholen, im Bund mit seiner Partei zumindest etwas auf die Grünen zugehen und - das ist ihm persönlich sehr wichtig und vielleicht das Schwierigste - die eigene Partei im Griff haben. Denn selbst wenn dieser es nicht sagt: Finanzminister Markus Söder steht als Nachfolger in Bayern bereit. Der ehrgeizige Finanzminister ist die größte Gefahr für Seehofer. Und damit der Nächste, der die Verhandlungen für Jamaika erschwert.

t.roth@volksfreund.de

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