Eine bewegende Lesung, die berührt

Weißenseifen · Weißenseifen Was der heute 21-jährige Florin Müller in seinem jungen Leben hinter und vor sich hat, ist ein schweres Schicksal. Denn er leidet unter dem so genannten Kanner-Syndrom, das unter der Bezeichnung frühkindlicher Autismus bekannt ist.

 Hanne Kloth zwischen ihren beiden Schützlingen: links Julian Bodem, rechts Florin Müller. TV-Foto: Helmut Gassen

Hanne Kloth zwischen ihren beiden Schützlingen: links Julian Bodem, rechts Florin Müller. TV-Foto: Helmut Gassen

Foto: Helmut Gassen (HG), HELMUT_GASSEN ("TV-Upload Gassen"

Die ersten vier Lebensjahre verbrachte Florin unter unmenschlichen Bedingungen in einem rumänischen Waisenhaus, bis er 1998 von Birgit und Helge Müller adoptiert wurde.
"In meinem bisherigen Leben habe ich soviel Schreckliches erleben müssen. Nicht nur als Gefangener im Autismus" (Textpassage aus dem Buch).
Die Familie, zu der neben Florin noch zwei Problemkinder gehören, lebt in Dillingen. Die Erziehungswissenschaftlerin Hanne Kloth aus Kirchweiler, freiberuflich tätig in der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung, lernte Florin 2011 durch Zufall kennen.
"Ich merkte direkt, der hat was drauf", erzählt sie. Seit 2012 kümmert sie sich um ihn. Florin verfügt über eine außergewöhnliche literarische Begabung und hat nun zusammen mit Hanne Kloth in drei Jahren Arbeit das Buch "Die Reise zum leuchtenden Stern oder Ein Astronaut im Welltall" geschrieben. "Meine Aufgabe war es, das Buch zu verpacken. Dazu haben auch die Texte seiner Mutter Birgit beigetragen. Florin ist sehr stolz darauf, was er geschaffen hat. Im Buch hat er seine Empfindungen wiedergegeben, seine Innenansicht, seine Mutter hat aus der Außenansicht mit viel Liebe geschrieben", erklärt Hanne Kloth.
"Es tut mir leid für Euch und stimmt mich traurig, dass ich so schwach bin" (Textpassage aus dem Buch).
Mit beigetragen zum Buch hat auch der 25-jährige Julian Bodem, ebenfalls Autist, der die Bilder zum Buch malte.
Im Haus Michael in Weißenseifen fand nun nach Völklingen, Saarburg und Saarbrücken die vierte Lesung statt. Da beide Autisten nicht sprechen können, sondern sich nur mit Hilfe der Gebärdensprache oder per Laptop verständigen können, wurden Florins Textpassagen von seiner Mutter und seiner Schwester Cynthia sowie seine Gedichte von seinem Bruder Benedikt gelesen. "Das Buch ist hoffnungsstark aber auch deprimierend. Der Autor lädt Sie aus Verzweiflung aber auch aus Hoffnung dazu ein, es zu lesen", erklärt Hanne Kloth den 35 Besuchern im Haus Michael, das eine Heimstätte für seelenpflege- bedürftige Menschen ist und hauptsächlich Autisten beherbergt. Sehr schwierig gestaltete sich die Lesung besonders für Florin, Julian blieb dagegen ruhig. Bei Florin gab es jedoch heftige Ticks, Schreie und er schlug sich immer wieder selbst auf die Backe.
"Florin ist eigentlich hochintelligent, aber er ist auch in seiner Stimmung oft unberechenbar, er steht dauernd unter Strom. Er hat Traumata aus seiner Kinderzeit in Rumänien, die ihn immer wieder einholen", sagte Hanne Kloth.
"Ich stärke mich nur mit guter, liebevoller und gezielter Hilfe. Ich brauche euch, um leben, überleben zu können" (Textpassage aus dem Buch).
Florin hat den Hauptschulabschluss vorgezogen und mit 1,4 bestanden, seinen Realschulabschluss will er auch vorziehen.
Doch das Leben mit ihm ist für seine Eltern nicht einfach, er braucht viel Geduld und Fürsorge. "Wir gehen auf dem Zahnfleisch, er schläft nachts nicht durch. Wenn niemand bei ihm ist, steht er auf und nimmt die Wohnung auseinander", erzählt Mutter Birgit, die auch noch an Krebs erkrankt ist.
Birgit und Helge Müller wissen, dass sie Florin nicht weiterhin dauernd versorgen können und suchen eine Einrichtung für ihn. Zur Zeit ist er in einer Lebenshilfe Tagestätte.
"Schlimm ist nur, dass er nirgendwo gewollt ist, weil er sehr aggressiv ist. Wir kämpfen gegen Behörden und Schulen, alle sagen nur immer, dass kein Platz für ihn da ist", sagt Birgit Müller.
Die Lesung musste für Florin nach einer Stunde abgebrochen werden. "Er ist heute in einer extrem schlechten Verfassung", erklärt Hanne Kloth, die ihm immer wieder beruhigte.
Extra: Das Buch "Die Reise zum leuchtenden Stern oder Ein Astronaut im Welltall" wurde in einer Auflage von 500 Stück gedruckt und ist im Verlag Ganymed Edition erschienen. Es ist zum Preis von 14 Euro erhältlich. ISBN 978-3-946223-43-6.

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