Der Mensch unter der Kleidung

Trier · Jakub Gawlik inszeniert das Schauspiel "Schwarze Jungfrauen" am Theater Trier.

Trier Gut zehn Jahre ist das Stück des Schriftstellers Feridun Zaimoglu und Günter Senkel alt; an Brisanz hat es eher noch hinzugewonnen. "Schwarze Jungfrauen" - das sind zehn Texte, zehn Monologe, Äußerungen von muslimischen Frauen - tragisch, realistisch, träumerisch, obszön.
Von "radikalem bis widerwärtigem Gedankengut" sprach Feridun Zaimoglu (bekannt wurde er 1995 durch sein Buch "Kanak Sprak") anlässlich der Uraufführung im Jahr 2006, die bezeichnenderweise im Rahmen eines Berliner Theaterfestivals mit dem Titel "Beyond Belonging" (etwa: Jenseits der Zugehörigkeit) stattfand, das den Untertitel "Migration hoch Zwei" trug. Elf Jahre sind inzwischen vergangen, und die Migranten und Migrantinnen gehören längst dazu, zum Alltagsleben in diesem Land. Und auch wieder nicht. Dieser nie aufgelöste und nie aufzulösende Widerspruch grundiert das Spannungsfeld, in dem die "Schwarzen Jungfrauen" agieren - oder besser: monologisieren, denn es handelt sich nicht um ein klassisch gebautes Theaterstück mit Rede und Gegenrede, sondern um Beschreibungen von je unterschiedlichen Leben und individuellen Eindrücken.
Elf Jahre nach seiner Uraufführung hat das Werk seinen Weg nach Trier gefunden - unter der Obhut von Regisseur Jakub Gawlik. Er hat die zehn Monologe auf vier Schauspielerinnen verteilt, die sieben Figuren verkörpern. Nach Gawluks Meinung haben die "Schwarzen Jungfrauen" mittlerweile radikal an Aktualität und Brisanz gewonnen. "In dieser Zeit ist eine Menge passiert. Der Anschlag auf den Pariser Konzertsaal Bataclan. Auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Und welches sind eigentlich die Konsequenzen dieser Taten?", überlegt der Regisseur. "Hat sich etwas geändert? Haben wir uns geändert?" Oberflächlich gesehen wohl nicht: Die Menschen gehen wieder ins Bataclan, um Musik zu hören, sie laufen über den Alexanderplatz - als wäre nichts geschehen?
Offenbar stellen die "Schwarzen Jungfrauen" mehr Fragen, als dass Antworten zu erwarten sind. Auch Gawlik hat eine Menge Fragen an den Text: "Zu welchem Verständnis nutzt man diese Literatur? Wieso sind gerade junge Menschen entzündbar von einem Ismus - Radikalismus, Islamismus, Existentialismus? Wie ist die Welt, wie ist deren Welt gestaltet, dass eine Art von Todesnähe an Bedeutung gewinnt?"
Für den Regisseur polnischer Abstammung besteht die Aktualität der Texte in der menschlichen Nähe zu den Attentätern: "Da hat jemand in Syrien, der aus Düsseldorf oder Duisburg kommt, in einem Jeep zwei Leichen am Seil hinter sich hergeschleift; natürlich ein Video davon gemacht. Als die Kamera in das Führerhaus schwenkt, habe ich einen Jungen von 21 oder 22 Jahren gesehen, mit dem ich Skateboard gefahren wäre. Ich bin kurz davor zu sagen: Er ist kein böser Mensch. Er könnte mein Freund sein."
Wenn man die charakteristischen oder persönlichen Attribute eines Individuums mal weglasse, so Gawlik, die Herkunft, den Akzent, die Bartfarbe: "Was bleibt denn dann, wenn nicht das Wesentliche, diese gemeinsame Ebene, auf der man sich begegnen kann? Und, ja, auch radikal sein kann?" Wenn vor allem diese letztgenannte Möglichkeit stets präsent ist im Denken und Umgang mit anderen Menschen, die, wie wir inzwischen wissen, nicht nur aus labilen und dysfunktionalen Gesellschaften wie Syrien oder Irak, sondern auch aus Dinslaken oder Köln kommen können, bleibe letztlich nur das Misstrauen - der schlimmste Spaltpilz einer Gesellschaft.
Empathie sei einer der Gründe, warum er dieses Stück auf die Bühne bringe, erklärt Gawlik. "Ein Hauptthema der Inszenierung ist die beinahe maximale Nähe zu denjenigen, die womöglich sprengen werden. Das ist letztlich das wirklich Schockierende. Ich möchte mich auf die Suche nach meiner Empathiefähigkeit für Figuren begeben, die sagen, es ist gut, dass das World Trade Center zerstört worden ist." Das klingt nach Provokation, aber der Regisseur betont: "Kein einziges Element der Inszenierung ist bewusst gesetzt, um zu provozieren."
Es liegt also am Ende beim Zuschauer zu entscheiden, wie sehr er sich von den "Schwarzen Jungfrauen" herausgefordert fühlt. Weil dazu auch eine gewisse Nähe gehört, ist der Bühnenraum entsprechend umgestellt und eingeschränkt worden: Das Publikum sitzt nicht im Theatersaal, in dessen Weiträumigkeit die Konfrontation verpuffen würde, sondern um ein Karree auf der Bühne, das zum engen Handlungsspielraum der Darsteller wird.
Premiere ist am 3. März, 19.30 Uhr. Karten gibt es unter Telefon 0651/718-1818.
DER REGISSEUR JAKUB GAWLIK


Extra

Jakub Gawlik, geboren 1983 in Polen, kam als Sechsjähriger nach Deutschland. Nachdem er bereits erste Theatererfahrungen gesammelt hatte, studierte er Literaturwissenschaft und Philosophie in Frankfurt und Paris. Anschließend entschied er sich endgültig für eine künstlerische Laufbahn, arbeitete am Schauspiel Frankfurt und am Frankfurter Autorentheater sowie am Münchner Residenztheater. Von 2009 bis 2014 war er Mitherausgeber der Zeitschrift Otium, in der philosophische und literarische Texte veröffentlicht werden. "Schwarze Jungfrauen" ist Gawliks erste Regiearbeit in Trier.

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