In den Gemeinden geht’s ums Ganze

Trier · Kommunalpolitik ist für viele Bürger unsexy - weil die Ämter unattraktiv sind und Verantwortung fordern, aber auch, weil den Gemeinden Geld fehlt.

Trier Wenn Wolfgang Lorig und Waldemar Vogelgesang über Krisen in der Kommunalpolitik reden, dann tun sie dies einerseits als Wissenschaftler an der Universität Trier von außen in der Vogelperspektive und andererseits als Aktive. Denn Politikwissenschaftler Lorig hat zwei Legislaturperioden im Trierer Stadtrat gesessen, Soziologe Vogelgesang ist aktuelles Mitglied im Gemeinderat Ralingen (Kreis Trier-Saarburg). "Als Stadtratsmitglied aus einem Ortsteil hat man auch den Blick fürs Große und Ganze und blickt auch über den Tellerrand hinaus", sagt Lorig. Andererseits hat er als Forscher in einer Vorstudie zusammen mit dem Gemeinde- und Städtebund und dem Städtetag Rheinland-Pfalz herausgefunden, dass sich Armut und Benachteiligung in bestimmten Stadtteilen konzentrieren und sich dies in sinkender Wahlbeteiligung äußert. Dies führt dazu, dass "die Interessen gerade dieser Stadtteile nicht mehr angemessen vertreten werden", sagt er. Und dies werde im landesweiten Vergleich vor allem in Trier und Gerolstein so gesehen.
Dass es in der Kommunalpolitik knirscht, lässt sich nicht nur an der Wahlbeteiligung ablesen, die bei den letzten Kommunalwahlen 2014 bei 55,6 Prozent in Rheinland-Pfalz lag. Laut den Wissenschaftlern liegt dies einerseits an der "Lebensweltferne der Politik" und andererseits an den "immer kleineren Handlungsspielräumen des Ortsbürgermeisters", sagt Soziologe Vogelgesang. Vor allem im finanziellen Bereich, wie der Stadt-, Regional- und Umweltökonom Martin Junkernheinrich bestätigt. Trotz einer "insgesamt verbesserten Finanzsituation in den Kommunen durch mehr Steuereinnahmen und Schlüsselzuweisungen", liege das Defizit der Kommunen in Rheinland-Pfalz im ersten Halbjahr 2017 noch bei gut 181 Millionen Euro. "Aber nicht alle haben im gleichen Maße von der guten Entwicklung profitiert", sagt der Wissenschaftler der TU Kaiserslautern. Somit verfestigten sich die Ungleichheiten vor allem für Gemeinden und kreisfreie Städte wie Trier, die hohe Liquiditätskredite ähnlich eines Dispo-Kredits und soziale Lasten zu tragen hätten. "Hier wird die Zeit knapp, um zu einer nachhaltigen Haushaltswirtschaft zu kommen", sagt Junkernheinrich. Und hier helfe auch das "Prinzip der Gießkanne, also mehr Geld für alle, nicht weiter."
"Freie Finanzspritzen, die es einem Gemeinderat erlauben, etwas zu bewegen, gibt es nicht", bestätigt Rudolf Müller vom Bürgerforum SaarLorLux und Vorsitzender der Kreisvolkshchschule Trier-Saarburg, selbst langjährig kommunalpolitisch aktives Gemeinderats- und Kreistagsmitglied Trier-Saarburg. "Ein Ehrenamt in der Kommunalpolitik ist eine sensible Angelegenheit", sagt Müller und verweist auf eine Belastung mancher Gemeinden durch Umlagen von rund 90 Prozent.
Kein Wunder, dass immer weniger Bürger bereit sind, sich in ihren Gemeinden politisch zu beteiligen. "Wer stellt sich schon gern zur Wahl und scheitert", gibt Rudolf Müller zu bedenken. Und so blieben nach der letzten Kommunalwahl rund 50 Ortsbürgermeisterstellen nach der Wahl in der Region Trier vakant, in ganz Rheinland-Pfalz 500. "Und es wird 2019 noch schwieriger, Kandidaten zu rekrutieren, wenn das Amt nicht attraktiver wird. Schon jetzt gibt es viele Bürgermeister, die sich aufreiben", sagt Waldemar Vogelgesang, der mehrere Gemeinden in der Region Trier in der Dorfentwicklung begleitet hat. Ansonsten sieht er keine Alternative zu größeren Gemeindeverbünden und dem Wermutstropfen, dass die Bürger ihre Identität zum Wohnort verlören.
Hoffnung gibt ihm das ehrenamtliche Engagement im Land: Schließlich sind in Rheinland-Pfalz 43 Prozent der Bürger außerhalb der Politik ehrenamtlich in Vereinen oder sozial engagiert. "Hier wird wahre Integrationsarbeit geleistet", sagt er. Folglich sieht Vogelgesang die Chance, mehr Spaß an Politik und Demokratie dadurch zu gewinnen, "dass der Übergang von sozialem zu politischem Engagement nicht nur möglich, sondern auch aktiv betrieben wird".Extra: EXPERTENWISSEN FÜR EHRENAMTLER


Zum Bürgerforum "Brennpunkte der Kommunalpolitik - Zur Problematik räumlicher und sozialer Disparitäten" am heutigen Donnerstag, 17 Uhr, in der Kreisverwaltung Trier-Saarburg kommen folgende Referenten: Eva Lohse, Präsidentin des Deutschen Städtetages und Bürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen, Professor Martin Junkernheinrich, Stadt-, Regional- und Umweltökonom an der TU Kaiserslautern, Professor Waldemar Vogelgesang, Soziologe an der Universität Trier sowie Professor Wolfgang Lorig und Stefan Henn, Politikwissenschaftler an der Uni Trier. In der anschließenden Podiumsdiskussion unter Moderation des Trierischen Volksfreund sind vertreten: Barbara Beckmann-Roh, Vorstandsmitglied des Saarländischen Städte- und Gemeindetages, Merzigs Bürgermeister Marcus Hoffeld, Winfried Manns, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz sowie Günther Schartz, Landrat des Kreises Trier-Saarburg und Vorsitzender des Landkreistages Rheinland-Pfalz. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort