Trierer Parteienforscher im TV-Interview: “Eine Jamaika-Koalition ist realistisch, wird aber nicht einfach”

Trier · Der Trierer Parteienforscher Uwe Jun sieht die Schuld für das Abschneiden der AfD bei CDU und SPD.

Trierer Parteienforscher im TV-Interview: “Eine Jamaika-Koalition ist realistisch, wird aber nicht einfach”
Foto: Birgit Reichert (g_pol3 (dp)

Herr Jun, klarer Sieger der Wahl ist die AfD. Noch Anfang des Jahres sah es so aus, als ob die Partei keine bedeutende Rolle spielen wird und nun ist sie drittstärkste Kraft geworden. Wie ist das zu erklären?
Uwe Jun: Die AfD ist ein Sammelbecken der Unzufriedenen und Enttäuschten. Sie hat viele Wähler, vor allem ehemalige Nichtwähler mobilisieren können. Außerdem haben sich sowohl Medien und als auch die anderen Parteien sehr viel mit der AfD beschäftigt, dadurch hat diese eine starke Aufmerksamkeit erhalten.

Das heißt also, dass CDU und SPD haben die Sorgen der Bürger nicht ernst genug genommen und sie haben auf die falschen Themen gesetzt?
Jun: Viele Wähler fühlen sich in der Flüchtlingspolitik und beim Thema Innere Sicherheit nicht von CDU und SPD repräsentiert. Die sind dann zur AfD gegangen. Der Wahlkampf war jetzt in der Schlussphase von Wut und Hass geprägt, vor allem die Auftritte der Bundeskanzlerin.

Stehen diese Wutbürger für die AfD-Wähler?
Jun: Das ist durchaus möglich. Insgesamt war die soziale und ökonomische Zufriedenheit der Bürger relativ groß. Über 70 Prozent der Wähler waren mit ihrer Situation eher oder sehr zufrieden. Daher glaube ich, dass sich nur einzelne Aggressionen bei diesen Wahlkampfauftritten gezeigt haben. Trotz dieser Zufriedenheit hat die CDU deutliche Verluste erlitten und hat eines der schlechtesten Ergebnisse bei Bundestagswahlen eingefahren.

War der Kuschelkurs der Kanzlerin und die Strategie, jedem Streit mit dem politischen Gegner aus dem Weg zu gehen, falsch?
Jun: Schon seit längerer Zeit hat Angela Merkel an Zustimmung verloren. Und das liegt in erster Linie an bestimmten Themen wie Immigration und Innerer Sicherheit. Da hat die Union Zustimmung verloren. Und Merkel hat einen Kurs der politischen Mitte favorisiert. Dadurch haben sich auch viele konservative Wähler von der CDU abgewandt. Dieser Kurs hat dazu geführt, dass die SPD sich schwer tat, von der Merkel-CDU abzugrenzen.

Warum ist es der SPD nicht gelungen, ihre Erfolge in der großen Koalition herauszustellen und damit bei den Wählern punkten zu können?
Jun: Es ist der SPD nie gelungen, auf diesen Mitte-Kurs der CDU angemessen zu reagieren. Außerdem hat sie sich im Wahlkampf auf soziale Gerechtigkeit fokussiert. Das ist dem Wähler aber zu wenig. Der hätte auch bei anderen Themen eine klare Positionierung der SPD erwartet. Die hat der Wähler aber nicht bekommen.

War es ein Fehler, Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden zu machen?
Jun: Von einem Fehler kann man hier nicht sprechen. Sicherlich trägt Schulz Mitverantwortung für das für die SPD wenig erfreuliche Ergebnis. Er hat die hohen Erwartungen an ihn nicht erfüllt. Aber auch unter dem Vorsitz von Sigmar Gabriel die Werte in etwa so waren, wie sie jetzt sind. Die SPD hat ein strukturelles aber kein personelles Problem.

FDP und Grüne wollten jeweils drittstärkste Kraft werden. Beide haben das Ziel trotz Zugewinnen verfehlt, sind nun aber Königsmacher für Merkel, nachdem die SPD angekündigt hat, in die Opposition zu gehen. Also wird es eine Jamaika-Koalition geben?
Jun: Das ist eine realistische Option, die aber nicht einfach wird, umzusetzen. Da sind einige Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Was bedeutet Jamaika für FDP und Grüne? JUN: Beide Parteien gehen damit Risiken ein. FDP-Chef Lindner weiß das. Er will die Situation von 2013, als die Liberalen aus dem Bundestag gewählt wurden, vermeiden. FDP und Grüne müssen im Koalitionsvertrag möglichst viel durchsetzen, um ihre Wähler von Jamaika zu überzeugen. Das heißt, dass die CDU großen Kompromisswillen zeigen muss. Spannend dürfte auch die Rolle der CSU sein, die ja auch deutliche Verluste in Bayern eingefahren hat. Das dürfte das Klima in einer möglichen Jamaika-Koalition nicht angenehmer machen.

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