Wenn nachts um 3.30 Uhr die Polizei klingelt - Roma-Familie aus Saarburg abgeschoben

Saarburg · Die Zahl der Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber im Kreis Trier-Saarburg liegt 2017 bereits höher als im Vorjahr. Eine unfreiwillige Ausreise aus Saarburg schlägt Wellen.

 Ein Foto aus besseren Tagen: die Roma-Familie, die in Saarburg gelebt hat und nun abgeschoben worden ist. Foto: Privat

Ein Foto aus besseren Tagen: die Roma-Familie, die in Saarburg gelebt hat und nun abgeschoben worden ist. Foto: Privat

Foto: (h_sab )

Die Abschiebung Laut Flüchtlingsbegleiterin Hélène de Wolf rückte am Freitagmorgen gegen 3.30 Uhr ein Trupp mit neun Polizisten, drei Vertretern der Kreisverwaltung, einem Dolmetscher und einem Arzt mit einer Durchsuchungsgenehmigung an und riss die Roma-Familie in ihrer Saarburger Wohnung aus dem Schlaf. Eine halbe Stunde hätten die Eltern und ihre drei Kinder im Alter von sechs, elf und 13 Jahren Zeit gehabt, ein paar Sachen einzupacken. Die Mutter, die wie die Tochter traumatisiert und in psychiatrischer Behandlung sei, habe geweint und gezittert. Sie habe Beruhigungstabletten bekommen. Auch die Kinder hätten geweint. Dann sei es im Kleinbus nach Frankfurt und von dort in den Flieger Richtung Mazedonien gegangen. Bis zur Ankunft gegen 13.30 Uhr habe die Familie nichts zu essen bekommen, sagt de Wolf. Sie hat mit dem Familienvater ausgemacht, dass er sich mehrmals täglich per SMS meldet. "Ich mache mir Riesensorgen. In Mazedonien droht ihm Gefahr für Leib und Leben", sagt de Wolf. Auf Facebook hat die Nachricht von der nächtlichen Abschiebung der gut integrierten Familie hohe Wellen geschlagen. Viele äußerten sich entsetzt.

Der Arbeitgeber Die Art der Abschiebung ist das eine. Der Umgang mit dem Asylantrag und anderen Verfahren, mit denen Memedov versucht hat, Bleiberecht zu erlangen, ist das andere, was de Wolf und Markus Schmidt kritisieren. Schmidt war zwei Jahre lang Memedovs Arbeitgeber. Er ist Chef einer Personal und Service GmbH, die auch Sicherheitsdienste anbietet. Er sagt: "Ich habe Fatmir unterstützt bei seinen Verfahren. Doch so wie hier kann es einfach nicht laufen. Das ist nicht der Rechtsstaat, für den ich auch meinen Kopf hinhalte." Memedov habe vor seiner Abschiebung noch nicht einmal - wie sonst üblich - eine zusätzliche schriftliche Aufforderung zur Ausreise erhalten. Hélène de Wolf ergänzt: "Fatmir hat immer gesagt: ,Wenn alles ordentlich geprüft und daraufhin abgelehnt ist, dann gehe ich.' Er wollte seine Familie nicht noch weiter belasten."

Der letzte Versuch Und aus Memedovs Sicht war noch nicht alles geprüft. Schmidt hatte mit dem Mazedonier zuletzt einen Ausbildungsvertrag als Fachkraft für Schutz und Sicherheit geschlossen. Eigentlich wollte er ihn später dazu ausbilden. Doch nachdem Memedov in den anderen Verfahren nur Absagen kassiert hatte, eilte es. Schmidt wollte in Zeiten des Facharbeitermangels seinen Mitarbeiter "mit hoher Sach- und Fachkompetenz", der zudem sechs Sprachen spricht, unbedingt halten. Ziel war es, eine Ausbildungsduldung zu erlangen. Laut Memedovs Anwalt Heinz-Peter Nobert ist die Ausländerbehörde verpflichtet, einem abgelehnten Asylbewerber eine solche Duldung auszusprechen, wenn ein Ausbildungsvertrag vorliegt. Der Anwalt hat den Antrag auf Ausbildungsduldung am 5. Mai bei der Kreisverwaltung gestellt. Eine Reaktion dazu kam laut Nobert nicht. Stattdessen hat die Behörde die Familie 14 Tage später abgeschoben. Auch eine einstweilige Anordnung bei Gericht mit dem Hinweis auf den Duldungsantrag an jenem Freitagmorgen konnte die Abschiebung nicht verhindern. Nobert prüft nun, ob er gegen die Gerichtsentscheidung, die aus seiner Sicht fehlerhaft begründet ist, vorgeht.

Die Kreisverwaltung Martina Bosch, Pressereferentin der Kreisverwaltung, teilt auf Anfrage mit, dass es Aufgabe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sei, die betroffenen Personen zur Ausreise aufzufordern. Familie Memedov sei bereits mit den ablehnenden Bescheiden vom September 2016 zur Ausreise aufgefordert worden. Darüber hinaus sei die Familie im Rahmen ihrer Termine bei der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung mündlich auf ihre Ausreiseverpflichtung hingewiesen worden. Und der Antrag auf Ausbildungsduldung? Laut Bosch hatte er keine Aussicht auf Erfolg. Der Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung bestehe nicht in Fällen, in denen ein absolutes Beschäftigungsverbot vorliege. Ein solches Verbot bestehe dann, wenn der Betroffene selbst Gründe dafür geliefert habe. Bosch schreibt weiter: "Herr Memedov hat gegenüber der Kreisverwaltung mehrmals vorgegeben, freiwillig auszureisen - zuletzt zum 30. April 2017. Deshalb wurden zunächst aus humanitären Gründen keine rechtlich gebotenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vollzogen." Memedov sei seinen Ankündigungen, freiwillig auszureisen, jedoch nicht nachgekommen. Ohne diese Behauptungen wäre die Familie bereits im April abgeschoben worden. Memedov und damit auch dessen Familie hätten damit den Grund für die Abschiebung selbst zu vertreten, weshalb das oben beschriebene Beschäftigungsverbot greife. Andererseits hat die Kreisverwaltung in einem Schriftstück, das dem TV vorliegt, Memedov am 3. März eine Beschäftigungserlaunis bis März 2018 ausgestellt.

Wie alles begann Im November 2014 kam Fatmir Memedov mit seiner Familie nach Deutschland und beantragte Asyl. In seiner Heimat war er Berufssoldat. Seine Geschichte von Schikane und fortwährender Diskriminierung beginnt mit einer brutalen Festnahme für zwei Tage und einem aus seiner Sicht falschen Vorwurf. Sie endet damit, dass die Familie angesichts nicht enden wollender Bedrohung und Übergriffe flieht. Belege zur Geschichte wie Videos und Atteste füllen einen Ordner. Memedov hat eigenen Angaben zufolge versucht, sich in Mazedonien mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Repressalien zu wehren. Erfolglos. Unterstützt vom Europäischen Zentrum für die Rechte der Roma (ERRC) hat er die mazedonischen Behörden vor dem Europäischen Gerichtshof angeklagt. Das Verfahren steht noch aus.

Das Leben in Deutschland In Deutschland hatte sich die Familie schnell integriert. Fatmir Memedov engagierte sich vielfältig ehrenamtlich. Er übersetzte bei Caritas, Diakonie sowie Behörden und unterstützte als Flüchtlingsbegleiter andere Asylbewerber. Sein Asylantrag wurde abgelehnt - auch mit dem Hinweis, dass das Herkunftsland sicher sei. Hélène de Wolf moniert, dass im Asylverfahren wichtige Dokumente nicht in die Akte aufgenommen worden seien und der Bescheid fehlerhaft sei. Die Klage gegen den Bescheid wurde ebenfalls abgelehnt. Auch von der Härtefallkommission des Landes haben die Memedovs keine Unterstützung bekommen. Nach der Abschiebung ist die Familie laut de Wolf bei Verwandten in Mazedonien notdürftig untergekommen, traut sich aber nicht aus dem Haus.Kommentar

 Flüchingsbegleiterin Hélène de Wolf im Gespräch mit Fatmir Memedov. TV-Foto: Marion Maier

Flüchingsbegleiterin Hélène de Wolf im Gespräch mit Fatmir Memedov. TV-Foto: Marion Maier

Foto: (h_sab )

Kein Ruhmesblatt

Der Fall Memedov wirft viele Fragen auf. Muss eine Abschiebung nachts erfolgen, so dass Kinder und traumatisierte Menschen völlig verschreckt werden? Hat die Behörde wirklich geprüft, ob die Geschichte von Fatmir Memedov in Mazedonien nicht doch als Asylgrund trägt? Ein Ablehnungsbescheid mit offensichtlichen Fehlern (ein Beispiel: An einer Stelle geht es um Roma aus dem Kosovo statt aus Mazedonien) erweckt nicht diesen Eindruck. Sind die sogenannten sicheren Herkunftsländer wirklich sicher? In Mazedonien gibt es politische Unruhen. Das Auswärtige Amt empfiehlt Touristen, bestimmte Gebiete zu meiden. Roma in Mazedonien werden laut Amnesty International in vielen Lebensbereichen diskriminiert. Wie ist das mit dem Fachkräftemangel? Offensichtlich bekommen integrierte, gute Arbeitskräfte in Deutschland keine Chance. Eine solche Asylpolitik ist kein Ruhmesblatt. Und die Zeichen stehen auf Verschärfung. Beunruhigend. m.maier@volksfreund.de

Info
Zahl der Ausreisen aus dem Kreis: 2017 sind laut Martina Bosch, Sprecherin der Kreisverwaltung, 34 Flüchtlinge, die im Kreis gelebt haben, freiwillig in ihre Heimatländer ausgereist. Abgeschoben wurden 17 Personen. Im Vorjahr sind 255 Migranten freiwillig zurückgekehrt. 14 Menschen wurden abgeschoben.

Warum nachts abgeschoben wird: Auf die Frage, wieso Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber in der Regel nachts oder am frühen Morgen erfolgen, teilt Martina Bosch von der Verwaltung des Kreises Trier-Saarburg mit: "Der Zeitpunkt von Abschiebungen orientiert sich immer an der Abflugzeit des Flugzeugs. Dies macht häufig eine Abschiebung in den frühen Morgenstunden notwendig."

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