"Ein echt krasser Befund"

Berlin · Armuts- und Reichtumsbericht bleibt geschönt. Andrea Nahles macht Union verantwortlich.

Berlin Der geplante Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist auf der politischen Zielgeraden. Von brisanten Passagen im ursprünglichen Entwurf musste sich Sozialministerin Andrea Nahles jedoch endgültig verabschieden. Die SPD-Politikerin machte die Union dafür verantwortlich.

Bereits im letzten Oktober war eine erste, vom Nahles-Ressort erstellte Berichtsfassung bekannt geworden, die koalitionsintern für Streit sorgte. Nach Angaben von Nahles gibt es nun zumindest eine Verständigung mit dem Kanzleramt. Allerdings um den Preis der endgültigen Streichung von Passagen über den geringen politischen Einfluss von Einkommensschwächeren. Hier habe man keine gemeinsame Position gefunden, sagte Nahles mit Blick auf den Koalitionspartner. In der ursprünglichen Fassung hieß es noch: "Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikänderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikänderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird". Dies wurde genauso getilgt wie die Bemerkung, dass Personen mit geringerem Einkommen deshalb auf politische Partizipation verzichteten.

Grundlage dieser Einschätzungen war eine Studie, die das Sozialministerium selbst in Auftrag gegeben hatte. Laut Nahles sind die umstrittenen Passagen aber weiter auf der Homepage ihres Ressorts nachzulesen. "Der Befund ist echt krass", betonte die SPD-Politikerin. Politisch gesehen ist dieser Vorgang sehr ungewöhnlich, aber offenkundig dem heraufziehenden Wahlkampf geschuldet. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht war bereits im Jahr 2001 veröffentlicht worden, damals noch unter Rot-Grün.

Der mittlerweile fünften Ausgabe, die unserer Redaktion vorliegt, ist nun auch eine 37 Seiten lange "Kurzfassung" vorangestellt worden. Darin wird vor einer sozialen Spaltung in Deutschland gewarnt: "Sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich in einer Gesellschaft zu groß und wird erworbener Reichtum als überwiegend leistungslos empfunden, so kann dies die Akzeptanz der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verringern." Gestützt wird diese These mit einer Fülle von Daten zu Einkommensverteilung, Arbeitslosigkeit und der Lage bestimmter Bevölkerungsschichten. So haben zum Beispiel die Bruttolöhne der oberen 60 Prozent der Beschäftigten seit Mitte der 1990er Jahre real zugelegt, während die der unteren 40 Prozent heute real geringer sind als damals. Auch seien zwei Millionen Kinder armutsgefährdet, weil kein Elternteil erwerbstätig ist oder ein Elternteil nur in Teilzeit arbeitet. Wenn nur ein Elternteil in Vollzeit beschäftigt ist, sinkt das Armutsrisiko aber schon von 64 auf 15 Prozent. Solche Angaben waren auch schon in der Ursprungsfassung enthalten. Genauso wie die Tatsache, dass die unteren 50 Prozent der Haushalte nur über ein Prozent des gesamten Vermögens verfügen, während allein auf die obersten zehn Prozent über die Hälfte des Vermögens entfällt. Immerhin zwei Drittel der Vermögenden mit mindestens einer Million Euro frei verfügbarem Geld gaben an, ihren Reichtum auf Basis von Erbschaften und Schenkungen angehäuft zu haben. Je weniger der Reichtum mit eigener Leistung einhergehe, desto mehr stelle sich die Frage nach der Gerechtigkeit, meinte Nahles. Nach ihren Worten soll der Bericht schon bald offiziell veröffentlicht werden. Bis dahin müssen sich nochmals die zuständigen Ressorts damit befassen.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, kritisierte gegenüber unserer Redaktion den politischen Umgang mit dem Bericht. "Es ist einfach lächerlich, welche Verrenkungen die Bundesregierung bei seiner Erstellung vollzieht." Erst seien Passagen gestrichen worden, dann warne die Regierung vor der Spaltung der Gesellschaft,"als hätte sie in den letzten Jahren nicht alle Möglichkeiten gehabt, soziale Probleme und die Schieflage zwischen Arm und Reich zu verringern", so die Grünen-Politikerin.

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